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Marie Malheur und das große Mundwerk

 

Diese Marie, diese Pechmarie, diese junge Frau, eine Waise und Ex-Heimbewohnerin zudem, der irgendwie alles misslingt. Wieder mal steckt sie voll im Schlamassel – auch jetzt wieder, in diesem überaus schrägen und darüber hinaus so aufwühlend-seltsamen Undergroundroman »Marie Malheur und das große Mundwerk«.

 

Die rothaarige Marie hat zweifelsfrei verkackt und ist sich inzwischen darüber im Klaren, dass sie Hilfe braucht. Drogen wie MutterNatur 500 mg und ihr elendiger Job als Zahnarzthelferin in der für sie ganz neuen Stadt H-Town City, reißen sie in den Strudel von Begebenheiten, die den Roman zu einem Spiel von so manchen Ups, aber eher sauvielen Downs machen.

 

Der Bulle Hubertus Knife, zugleich Lover der aufregenden Agathe Look, wird folglich zur Behandlung kommen, dem Marie dann auch mal so richtig »das Maul stopft«: also die Zähne eingipst, bis er den Mund nicht mehr aufbekommt...

LESEPROBE AUS DEM VERRÜCKTEN BUCH

"MARIE MALHEUR UND DAS GROSSE MUNDWERK"

 

Auszug aus Kapitel 1

 

...Schließlich zeigte die Uhr nach unzähligem Betrachten 18.30 Uhr. Marie hatte nun über eineinhalb Stunden in der Zahnarztpraxis gewartet und fand, dass sie ihren Pflichten mehr als genug nachgekommen war. Die elektrischen Geräte waren nach einem erneuten Überprüfungsrundgang allesamt ausgeschaltet und sie bereit für ihr wohlverdientes Wochenende. Sie sann kurz darüber nach, ihren Chef Dr. Zieher anzurufen, um Bescheid zu geben, dass Herr Knife nicht aufgetaucht war und sie jetzt gehen würde, doch das Risiko, ihn vielleicht bei seinem Geschäftsessen zu stören oder, schlimmer noch, gesagt zu bekommen, sie solle weiter warten, war ihr dann doch zu groß. Marie lugte aus der Eingangstür, lauschte nach Geräuschen im Treppenhaus, ging zurück ins Wartezimmer und schaute noch einmal aus dem Fenster in Richtung Straße und Parkplatz. Nichts zu sehen. Die Luft ist rein. Angespannt trommelte sie mit beiden Handflächen gegen die Oberschenkel. Sie war wie jedes Mal aufgeregt, wenn sie Drogen nahm, und brauchte ein bisschen, um sich psychisch auf die Einnahme vorzubereiten. Jetzt gehts los, jetzt gehts los. Soll ich wirklich? Oder noch nicht? Marie überlegte noch einmal, kam aber schnell zu dem Entschluss, dass sie keine weitere Zeit zu verlieren hatte. Freudig erregt zog sie ihre Cola-Flasche aus dem Rucksack, drückte sich zwei Pillen aus der Blistereinheit und sah sie an. Das Aussehen überraschte sie. So etwas hatte sie noch nicht gesehen. Die Pillen waren moosgrün und funkelten dezent wie ihr Glitzerpuder, das sie in Verbindung mit ihrem kurzen schwarzen Kleid benutzte, wenn sie auffallen wollte. Sehr, sehr chic, fand Marie, nahm sie in den Mund und spülte sie ohne weitere Überlegung, mit einem Schluck inzwischen kohlensäurearmer Cola hinunter. Jetzt aber nichts wie raus hier, dachte sie, während sie das Licht im Wartezimmer löschte und aufgedreht zum Praxisausgang hastete. Sie schloss die Praxistür ab, testete, ob der Schließvorgang auch wirklich vollzogen war, und huschte die Treppen nach unten, was sie immer tat, um sich fit zu halten.

Als sie die Ausgangstür öffnete, kam, was kommen musste. Nämlich Hubertus Knife. »Ach, da habe ich ja doppelt Glück«, sagte dieser freudig, während Marie sämtliche Gesichtszüge entgleisten. »Es ist wirklich noch jemand da. Bin ich also doch nicht zu spät. Fantastisch.« Marie sah das anders. Er war entschieden zu spät, und dass er hier war, war alles andere als fantastisch. »Zur rechten Zeit, am rechten Ort, nicht, dass ich nazionalsozialistisch bin«, versuchte er lustig zu sein. Marie verzog keine Miene.

»Eigentlich hab ich keine Zeit mehr, ich warte schon seit über einer Stunde und ich muss …«

»Das soll zu Ihrem Nachteil nicht sein«, unterbrach sie Hubertus. »Sie wissen, dass ich Polizist bin, und falls Sie einmal zu schnell fahren oder einen Strafzettel bekommen, genügt ein Anruf bei mir und Sie sind Ihre Sorgen los. Eine Hand wäscht die andere«, sagte er augenzwinkernd. »Mein Auto hat auf die Schnelle noch einen dritten Politurschliff benötigt, da ich heute mit der schönsten, klügsten und geschmackvollsten Frau ausgehe, die jemals das Licht der Welt erblickt hat. Agathe Look heißt die Glückliche. Ihre Augen strahlen wie die Sterne, ihr Haar ist weich wie Seide und ihr Körper ist das pure Erregen öffentlichen Ärgernisses. Verlieren wir also keine Zeit und fangen am besten sofort an. Nicht, dass ich noch zu spät komme, denn das könnte ich mir nie verzeihen.« Marie wollte ihn noch darauf hinweisen, dass sie kein Auto besaß und ein Strafzettelerlass für sie ohne Nutzen sei. Doch bevor sie einen letzten Versuch starten konnte, das Kommende abzuwenden, war Hubertus bereits in das Gebäude eingedrungen und betrat den Fahrstuhl. Marie folgte mit finsterer Miene.

Wieder in der Praxis angekommen warf sie ihre Tasche lustlos in die Ecke des Wartezimmers, während Hubertus voller Freude seinen neu erworbenen, schicken Mantel sowie sein Headset an der Garderobe falten- und knickfrei in Position brachte. »Für einen zuckersüßen Kaffee würde ich sterben. Natürlich nur, wenn es keine be-son-der-en Um-stände be-rei-tet«, sang Hubertus nahezu. Marie konnte die Dreistigkeit nicht fassen. Sie kannte zwar das Geschwätz und die komische Art dieses Mannes von dessen Praxisbesuchen, doch so »in Love« war er doppelt so schlimm wie sonst.

»Nach dem Kaffee müssen wir uns aber ranhalten«, forderte Marie, die hoffte, dass er nach der Übergabe des heißen Getränks, wie eigens gewünscht, das Zeitliche segnen würde.

»Kein Problem, ich habe selbst wenig Zeit an diesem wundervollen Tag der Liebe. Aber was sein muss, muss sein«, gab er den Nachsatz streng zurück, um sich vor weiteren aufmüpfigen Kommentaren dieser Göre zu schützen. Als Hubertus im Behandlungsstuhl Platz genommen hatte und seinen Kaffee mit viel Milch und noch mehr Zucker in den Händen hielt, kostete er und zeigte sein Wohlgefallen mit einem: »Ahhhhh. Daran könnte ich mich gewöhnen. Keine Wartezeit, exzellenter Service und vom Kaffee bis zu Ihnen, junge Dame, alles hochgradig delikat dazu. Einen letzten, klitzekleinen Wunsch hätte ich allerdings noch, da ich schon einmal hier bin. Sie würden meine Glückseligkeit vollkommen machen, wenn Sie mir schnell, ratzfatz, einmal über meine Zähne polieren könnten. Ein Lob beim Chef wäre Ihnen gewiss. Dauert ja bloß ein paar Minuten, wird dafür aber mit Sicherheit dazu beitragen, dass ich noch unwiderstehlicher aussehen werde, auch wenn das für Sie unmöglich erscheinen muss. Ich würde Ihnen das niemals vergessen, Sie wissen doch, wegen heute Abend.«

Nun paarten sich die entgleisten Gesichtszüge von Marie mit einem hasserfüllten Blick, der die folgende Zahnbehandlung begleitete. Natürlich bestand ihr »Albtraum«, nach der Reinigung mit der Polierbürste und hochkonzentrierter Zahnpaste, in einem allerletzten Wunsch, auf das ihm bekannte Gummipolieren, das seine Zähne fein nachglättete. Marie war extrem genervt. Sie konnte die Gegenwart dieses Menschen unmöglich noch lange ertragen und ersehnte das Ende dieses Termins. Ihre Laune war nicht nur durch all diese Bitten, die wie Befehle klangen, inzwischen stark dezimiert. Parallel zu all den Wünschen gab es für diesen Mann schier nur ein einziges Thema. Ein Thema, das Marie nicht im Geringsten interessierte. Die Geschichte von ihm und einer Frau namens Agathe Look. Doch was noch schlimmer war als all die Quälereien des Patienten, war das sich ausbreitende Gefühl, welches gerade in ihrem Magen seinen Ursprung fand und nicht mehr aufzuhalten war.

 

 

Kapitel 2

 

Marie war endlich so weit, die Abdrücke zu nehmen. Die Paste war fertig. Sie hatte zwar wie immer die Messbecher für das Wasser und das Alginatpulver benutzt, doch ob sie das Mischverhältnis von 1:1 eingehalten hatte und die grüne Farbe und Konsistenz wie immer war, konnte sie nicht sagen, da vor ihrem geistigen Auge Farbexplosionen im Nanosekundentakt stattfanden. Sie schmierte das Mentholalginat auf die Abdrucklöffel und war froh, dass sie auf Anhieb das Behandlungszimmer fand, in dem Hubertus, wie ein König, auf dem Behandlungsstuhl thronte. Als sie den Raum betrat, von dem es in der Praxis drei weitere, fast identische gab, roch es so intensiv nach Desinfektionsmittel, dass sie dachte, ihre Lungen würden durch das Einatmen automatisch keimfrei. Auch ihre Optik hatte sich weiterentwickelt und grundlegend verändert. Das Licht der Behandlungslampe strahlte zehn Mal heller als eine Natrium-Hochdruckdampflampe für den Hanfanbau.

Die unglaubliche Helligkeit übertrug sich geisterhaft auf ihren Patienten, der weder geblendet noch verwundert schien. So konnte sie nicht arbeiten, weshalb sie das flutende Licht ausschaltete, ehe sie mit der Abdruckprozedur begann. Die Blendung nahm langsam ab, doch die Lampe und Herr Knife strahlten phosphoreszierend weiter, wie die Sternaufkleber, die seit Jahrzehnten Maries einstige Schlafstätte im Heim zierten, mit dem sie nur schlechte Erinnerungen verband. Marie fühlte sich eigenartig und vermied es, ihrer Gegenseite in die Augen zu schauen. Sie ahnte, dass die ihren verräterisch leuchten mussten, bei all den optischen Eindrücken, die sie wahrnahm. Sie atmete noch eine Prise Sterilität ein und versuchte, sich auf das Kommende zu konzentrieren. Im Normalfall wurden die oberen und unteren Abdrücke nacheinander angefertigt, doch Marie war nicht mehr klar bei Verstand und hatte es irgendwie geschafft, beide Löffel in das Schandmaul von Hubertus zu stopfen, der nun gezwungen war, dieses zu halten. Andächtig und nervös atmete dieser durch die Nase, denn das Alginat schien heute flüssiger als sonst und drohte in seinen Hals zu laufen. Er hatte das Gefühl, dass er sich bei der geringsten, falschen Bewegung übergeben musste oder gar zu ersticken drohte, weshalb er für seine Verhältnisse unverhältnismäßig stillhielt. Marie sagte etwas, was sich nach »Fünf« anhörte, und verließ taumelnd das Zimmer. Sie hatte sich vor Kurzem noch an die Dosierhinweise und mahnenden Worte ihrer verrückten Dealer erinnert, deren Beachtung wohl wichtiger war als angenommen.

 

»Mädche, hier haste zehne, weils zu deinem Beruf passt. Nicht rektal, subkutan, intravenös oder vaginal einzunehmen, sondern oral, mit dem Munde, wies den Männern am liebsten ist. Und nehme sie nicht ganz. Versteh mich nicht falsch, ich will dich nicht als Gans beschimpfen, die sie nicht nehmen soll, ich mein keine Ganze auf einmal. Nehme am besten erstmal die Hälfte von der Hälfte und davon die Hälfte. Einfacher gesagt: 12,5 Prozent von Hundert. Oder 25 Prozent von 200, da haste keine Kommastelle. Lies am besten erst mal die Verpackungsbeilage durch. Also nicht, dass du sie durch durchlesen sollst, sondern nüchtern. Wenn jemand durch blickt, dann ja wohl ich und er und bald du. Aber erst nach dem Studieren. Der Beilage natürlich, nicht schulisch! Was nicht heißen soll, dass das kein guter Plan wäre.«

 

Marie hatte ihren Spaß gehabt mit diesen beiden verrückten Kerlen, kannte aber solche Aussagen wie »Nehm nicht zu viel, sei vorsichtig«, die in der Regel dafür da waren, etwas zu versprechen, was meist nicht gehalten wurde. Bis heute konnte sie von sich behaupten, dass sie mit Pillen immer gut klargekommen war. Doch nun stellte sie fest, dass das heute anders war. Sie hatte nun endgültig und vollkommen die Kontrolle verloren. Ich muss hier raus. Ich brauche frische Luft. Sofort! Gezeichnet von der überraschend starken Wirkung, torkelte Marie zur Praxistür. Alles drehte sich, doch sie schaffte es, den Schlüssel in dieses winzige Loch zu stecken. Sie schloss, warum auch immer sie in dem Moment ihres bevorstehenden, körperlichen Konkurses daran dachte, die Türe zu und verschwand im Treppenhaus.

Hubertus hingegen war auf eine ganz andere Art indisponiert. Er war sich nicht sicher, ob das Abdrückenehmen immer solche beengenden und beängstigenden Gefühle in ihm ausgelöst hatte. Er wünschte sich inständig, dass das ganze Szenario bald hinter ihm liegen würde, denn der Würgreflex in seinem Hals war allgegenwärtig und, wie er glaubte, nur von einem so starken Mann wie ihm zu unterdrücken und auszuhalten.

Er wartete nun seinerseits. Die 40 Minuten, die er flach atmend im Behandlungszimmer verbracht hatte, kamen ihm zeitlich wie ein Monat Gottesdienst am Stück vor. Inzwischen konnte er seinen Mund nur noch minimal bewegen. Seine Toleranzgrenze war mehr als überschritten. Sie war quasi überflutet und vollkommen eingerissen, weshalb er versuchte, mit gequälten »Aaalooo, aaaloooooo«-Rufen auf sich aufmerksam zu machen. Doch nichts passierte. Niemand regte sich. Niemand kam, um nach ihm zu schauen und ihn endlich von diesen Mundfüllungen zu erlösen. Hubertus wurde langsam aber sicher richtig sauer, rief noch einige Male mit ansteigendem Stimmvolumen, bevor er sich von dem Behandlungsstuhl erhob und in der Praxis umsah. Er betrat Raum für Raum. Allesamt waren dunkel und verlassen. Einzig der Kühlschrank im Aufenthaltsraum gab ein stilles Summen von sich, das den Eindruck, alleine zu sein, noch verstärkte. Die letzte Chance auf einen Fahndungserfolg bot das Wartezimmer, in dem allerdings, wie in allen Räumen zuvor, kein Lebenszeichen vorzufinden war. Durch die jahrelange Erfahrung im Bereich der Spurensuche fiel ihm jedoch eine Handtasche ins Auge, die verwaist in der Ecke neben einem der gepolsterten schwarzen Lederstühle lag. Ohne zu zögern, hob er sie auf. Seine Situation erlaubte keine Privatsphäre. Er öffnete die Tasche und wühlte sich durch den Inhalt. Neben einer Schachtel Schmerztabletten, einem Schlüssel, Smartphone und einer Visitenkarte, fand er typischen Frauenkrimskrams und einen Geldbeutel mitsamt Ausweis. Es war die Tasche von Marie Müller! Wo verdammt ist sie? Warum ist sie nicht hier bei mir? Wäre sie nach Hause gegangen, wohl ja mit Tasche!

Hubertus verstand die Welt nicht mehr. Wenn dieses Gör mit einer Kippe im Mund vor der Tür steht, während ich hier drinnen, einsam und alleine sieben Tode sterbe, dann kann sie was erleben, schwor sich Hubertus, der jegliche Milde vermissen ließ. Er warf die Tasche zornig zurück in die Ecke und ging Richtung Ausgang. Als die Praxistür nicht nach- und ihm somit nicht den Weg nach draußen freigab, warf Hubertus seine letzten Hoffnungen über Bord und musste sich eingestehen, dass irgendetwas passiert sein musste. Er hämmerte mit Händen und Füßen gegen die Tür. Versuchte nochmals, mit Rufen auf sich aufmerksam zu machen. Doch nichts rührte sich. Der Schlüssel in der Tasche, fiel es ihm ein. Flugs ging er zurück in Wartezimmer und griff sich den Schlüsselbund. Zurück an der Praxistür versuchte er mehrfach, die Schlüssel in den Schlitz zu stecken. Doch auch mit Gewalt wollte keiner hineinpassen. Wutentbrannt schmiss er den Schlüssel in den Warteraum zurück und durchsuchte anschließend den Empfang der Praxis nach einem passenden Ersatzschlüssel für Notfälle. Doch er fand keinen. Nun blieben ihm noch die Fenster, die er zwar öffnen, aber nicht als Notausstieg nutzen konnte, da sich die Praxis im achten Stock befand. Die ansässigen Firmen der angrenzenden Stockwerke waren um diese Zeit nicht mehr im Haus, sodass alles Rufen, Toben und Aufmerksamkeit Erregen sinnlos war. Auch Hilferufe zu Passanten konnte er vergessen, da der Straßenlärm die Lautstärke seiner Bemühungen um einige Dezibel überbot. Wieder resignierte er, schloss die Fenster und sank zu Boden. Er hatte die Schönheit seiner Zähne in die Hände dieser Stümperin gelegt, ohne sich für den Fall abzusichern, der nun bittere Realität war. Er war Gefangener der Praxis und seine Zähne Gefangene der Abdrucklöffel. Warum habe ich auch nicht meine Waffe mitgenommen?, ärgerte er sich, als er seinen Mund betastete, in dem die Abdrücke inzwischen sehr hart geworden waren.

»Oo aain oott« (Oh mein Gott), brachte Hubertus geschockt hervor. »Oo aine Aaaise. Aine ööhnen Ähne.« (So eine Scheiße. Meine schönen Zähne). Es war der Moment der völligen Klarheit. Die Erkenntnis der realen Bredouille, in der er sich befand, führte zu einer Art Nervenzusammenbruch. Verstört und schwankend ging er in die Patiententoilette und hielt vor einem der Spiegel inne. Es war ein Kulturschock für den übereitlen Hubertus. Sein Körper, implizit seine Zähne, waren ihm das Heiligste im Leben. Als er sich nun im Spiegel sah, liefen dicke Tränen durch sein Gesicht. Hubertus wischte sie zitternd beiseite und schaute noch einmal genauer in den Spiegel, der ihm ein verschwommenes und unwirkliches Ebenbild seiner selbst präsentierte. Schlagartig wurde ihm schlecht bei diesem Anblick. Dann dachte er an sein Date. Das wohl wichtigste in seinem bisherigen Leben. Die Vorstellung, seine geliebte Agathe zu versetzen, löste Schwindelgefühle aus. Das alles war eindeutig zu viel für ihn. Er spürte noch, wie sich eine Schweißschicht auf seiner Stirn bildete, bevor seine Beine nachgaben und er bewusstlos auf die kalten Bodenfliesen aufschlug. Dort blieb er liegen. Hilflos und allein. Mit immer fester werdenden Abdrücken.

 

 

Auszug aus Kapitel 3

 

...Es war bei genauerer Betrachtung nachzuvollziehen, dass sich Restaurantbesitzer Giovanni mit dem einzigen Zahnarzt der Stadt, der zufriedenstellende Arbeit leistete, gut stellte. Früher oder später stand ein Besuch bei Dr. Zieher an. Giovanni wollte sich einer guten Behandlung sicher sein und nicht der Gefahr aussetzen, für lange Wartezeiten ebenfalls mit langen Wartezeiten oder, schlimmer noch, mit dem Bohrer bestraft zu werden. So hatte der Zahnarzt kurzfristig einen erhöhten Platz in Bühnennähe erhalten, auf der eine dreimannstarke, in schwarze Smokings gehüllte Band gekonnt entspannte Swing-, Jazz- und Bluesmusik zum Besten gab. Eine bezaubernde Sängerin mit dunkler Hochsteckfrisur und goldenem Abendkleid sang gerade mit sanfter Stimme The girl from Ipanema, als Dr. Zieher seiner bezaubernden Begleiterin ganz gentlemanlike den Stuhl nach hinten zog und sie bat, Platz zu nehmen. Mit einer leichten Verbeugung schloss er diesen Vorgang ab und setzte sich der hübschen Frau gegenüber.

Diesmal hatte er voll ins Schwarze getroffen. Seit ein paar Monaten chattete er auf dem Internet-Portal Besteauslese. Er hatte schon einige Blind Dates, bei denen er sich die Frauen allerdings erst einmal aus sicherer Entfernung betrachtete. Gefielen sie ihm nicht, suchte er das Weite. Sagten sie ihm zu, wie die Frau heute, gab er sich zu erkennen und versuchte, den Rest seines durchdachten 3-Stufen-Plans in die Tat umzusetzen, der nur ein Ziel kannte: sein Bett.

 

Stufe 1 begann bereits auf der genannten Internet-Plattform. Dr. Zieher hatte sich lange Gedanken gemacht, welche Art Frau für ihn die interessanteste war, und hatte sie in mehrere Gruppen eingeteilt.

Zur ersten zählten die hässlichen und übergewichtigen Frauen, die keinen Mann abbekamen und wohl auch in diesem Leben nicht mehr würden. Es sei denn, sie fanden ein ähnlich bemitleidenswertes, männliches Pendant. Sie hatten meist nur ein einziges Porträtfoto auf ihrem Profil und keine Ganzkörperfotos, die ihre unvorteilhaften Körper enthüllten. Sie warben mit Kuscheln, Treue und sonstigem Quatsch und vergaßen meist die wichtigste aller Angaben. Die der Körpermaße. Diese Gruppe schied schon einmal aus. Keine Zeile vergeudete er an diese verzweifelten, hinterhältigen, nicht satt zu kriegenden und undisziplinierten, diätabbrechenden Zeitverschwendungen.

Die zweite Gruppe nannte der Zahnarzt: die Gruppe der Schüchternen und Minderbemittelten. Dieser Gruppe gehörten Frauen an, die bei dem bloßen Anblick eines männlichen Geschlechts überfordert waren oder die sich in der Kindheit zu oft den Kopf gestoßen hatten. Das Einzige, was man nach langem Hin und Her herausholen konnte, war vielleicht eine Runde Petting. Doch der Zahnarzt war keine 15 mehr und die Frauen dieser Gruppe schlichtweg verhaltensgestört und, Gott bewahre, nichts für ihn.

Gruppe drei stand symbolisch für Frauen mit Krankheiten oder Behinderungen in jeglicher Form, wozu er auch Personen zählte, die ihrer Ansicht nach im falschen Körper steckten. So etwas kam ihm never ever in die eigenen vier Wände, denn es war in seinen Augen einfach extrem abstoßend.

Die vierte Gruppe bestand aus Frauen mit dezenten, aber untuschierbaren Schönheitsfehlern. Diese Gruppe war aus dem Angebot schwer herauszukristallisieren, da die veröffentlichten Fotos meist nichts von ihren Makeln preisgaben. Nur mit dem nötigen Feingefühl, detailliertem Nachfragen und etwas Glück konnte man auch diese Randgruppe identifizieren und aussortieren. Denn wer hatte schon Lust, diese Sorte gegen teures Geld wieder auf Vordermann zu bringen, falls dazu überhaupt Hoffnung bestand? Er auf jeden Fall nicht.

Dann gab es die Gruppe fünf. Die eingebildeten Frauen, die keinen ranließen, sondern einfach mal auf die Kosten eines anderen schick Essen gehen wollten und mit enorm viel Glück, wenn der Östrogenspiegel auf dem Höhepunkt war und wirklich alles passte, die Spendierhose öffneten und ihren Vibrator für eine Nacht gegen den Spendierpenis eintauschten. Erkennen konnte man diese Sorte an langen Wartezeiten bei den Antworten, an der Art der Ausdrucksweise und an den Vorschlägen bezüglich der Treffpunkte. Bei dieser Gruppe stand das Preis-/Leistungsverhältnis in so einer schlechten Relation, dass es einfach mühselig und gegen jegliche Vernunft war, es überhaupt erst zu versuchen.

Anders verhielt es sich mit Gruppe Sex. Die Gruppe der Nymphomaninnen und Perversen, die stets nach neuen Geschlechtspartnern suchten, weil sie fast alle anderen schon einmal tief in sich hatten. Sie dachten nur an Sex, träumten von Sex und ließen sich keine noch so kleine Gelegenheit entgehen, um etwas zwischen die Beine zu kriegen. Sie nahmen im Chat kein Blatt vor den Mund und machten keinen Hehl aus ihrer Sexsucht. An und für sich keine schlechte Gruppe, doch dem Zahnarzt missfiel die Vorstellung von all dem Sperma, mit dem diese Damen bereits besudelt worden waren. Außerdem kam hinzu, dass sich aus den Löchern gespenstische Höhlen entwickelt hatten, in denen sich fiese Krankheiten versteckten, da das Geld für Gummis meist gespart oder aus Zeitmangel aufgrund unglaublicher Geilheit darauf verzichtet wurde.

Gruppe sieben waren die Frauen, die einigermaßen aussahen und einen festen Partner suchten. Meistens waren sie unabhängig und im Leben erfolgreich, was man an Cabrio- und Reisefotos oder Bildern, auf denen die Ausstattung ihrer Wohnungen zu sehen war, erkennen konnte. Wie bei den meisten gab es auch hier eine unakzeptierbare Schattenseite. Sie wollten die Hosen anhaben, hielten sich für etwas Besseres und muckten deshalb nach einiger Zeit zwangsläufig auf, wenn ihnen etwas nicht passte. Des Weiteren hatten sie eine klare Vorstellung vom Leben, ihrem Partner und vom Sex. Alles in allem war auch dies nicht die Gruppe, die Hermann ansprach.

Er bevorzugte ganz klar Gruppe acht. Diese Frauen steckten jeden Cent, der übrig war, in Klamotten, die man bei der jährlichen Steuererklärung theoretisch als Arbeitskleidung hätte absetzen können. Doch die meisten Frauen dieser Zunft hatten noch nie solche Unterlagen gesehen und hielten eine Steuererklärung für eine Gebrauchsanweisung für ein Lenkrad. Sie waren meist strunzdumm und zu faul zum Arbeiten, weshalb sie einen Mann suchten, der das nötige Kleingeld mitbrachte. Die Gegenleistung für diesen Luxus war schweinischer Sex. Die Anwärterinnen waren, zumindest solange man sie nicht heiratete, absolut gehorsam und bereit dazu, Sachen zu machen, die andere nicht machten. Manche dosierten ihre Geschicke und erreichten Treffen für Treffen eine Steigerung ihrer betörenden Künste. Doch die meisten setzten alles sofort auf eine Karte. Sie lutschten den Herren das Hirn aus dem Schädel, ließen sich sämtliche Löcher stopfen und versuchten so, sich die Geilheit der Männer zunutze zu machen und sie mit ihrer dargebotenen und von den meisten nie erlebten Hemmungslosigkeit zu infizieren. Unprofessionelle Nutten war der Überbegriff dieser von ihm favorisierten Gruppe. Und eine Frau dieser Gruppe saß ihm nun gegenüber, das war so sicher wie Samen in der Kirche…

 

So, das war die Leseprobe meines neusten Werkes. 

 

Dieses verrückte Buch ist ab 18 (½).

 

Die Veröffentlichung war am 18.01.2016.

 

Buchpreis: 16,50 €  

 

286 Seiten, Taschenbuch   ISBN 978-3-939832-83-6

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